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Erläuterung zum Quran
von Sayyid Muhammad Husayn Tabataba'i
Lob sei Gott, der den Koran auf seinen Diener herabgesandt hat, damit er
den Menschen in aller Welt ein Warner sei!
Und Segnungen seien ihm, den er zum Zeugen, Verkünder froher Botschaft
und zum Warner gemacht hat, damit er mit Seiner Erlaubnis zu Gott rufe
und eine helle Leuchte sei. Und Segen sei den Mitgliedern seines Hauses, von denen er die Unreinheit entfernte
und die er vollkommen rein machte.
In diesem Vorwort werden wir kurz die Methode erläutern, die wir bei der Suche nach der Bedeutung der koranischen Verse angewandt haben.
At-tafsir (die Exegese ist die Erklärung der Bedeutung und die Aufdeckung von Sinn und Zweck der koranischen Verse) gehört zu den frühesten wissenschaftlichen Beschäftigungen der Muslime. Diese Art von Untersuchung, die tafsir genannt wurde, begann bereits zur Zeit der Offenbarung des Koran, wie aus den Worten des Erhabenen hervorgeht: "Wir haben ja auch einen Gesandten aus euren eigenen Reihen unter euch auftreten lassen, der euch unsere Verse verliest, euch läutert, euch die Schrift und die Weisheit lehrt." (2,151)
Die erste Exegetengeneration der Muslime war eine Anzahl von Prophetengefährten (gemeint sind hier die Gefährten außer ‚Ali, denn ihm und den Imamen aus seiner Nachkommenschaft kommt eine besondere Stellung zu, die wir später erläutern werden) wie Ibn ‚Abbas, ‚Abdullah ibn Umar, Ubayy (ibn Ka'b) und andere. Zu jener Zeit beschränkten sich die Bemühungen lediglich auf die Erklärung der literarischen Aspekte der Verse, die Hintergründe ihrer Offenbarung und gelegentlich auch auf die Interpretation eines Verses durch einen anderen. Es gab ebenfalls einige Versuche, die Geschichten des Koran und die Erkenntnisse über die Schöpfung, die Auferstehung und dergleichen mit Hilfe der Überlieferungen aus den Prophetentraditionen zu interpretieren.
Den Nachfolgern dieser Exegeten wie Mugahid, Qatada, Ibn Abi Layla, As-Sa'bi, as-Suddi und anderen, die in den ersten beiden Jahrhunderten nach der Hidschra lebten, erging es ebenso. Den Methoden ihrer Vorgänger fügten sie nichts hinzu, außer dass sie sich mehr mit der Interpretation durch die Überlieferungen (einschließlich Überlieferungen, die durch Juden und andere gefälscht worden waren) befassten. Sie zitierten diese Überlieferungen, um die Verse zu erläutern, die von der Geschichte vergangener Völker und den Erkenntnissen über die Entstehung des Himmels und der Erde und die Erschaffung der Gewässer von Iram und Saddad, von den Fehlern der Propheten, der Entstellung des Koran und Dingen dieser Art handelte. Diese Themen finden sich auch teilweise in den Interpretationen und Untersuchungen, die den Gefährten des Propheten zugeschrieben werden.
Zur Zeit der Prophetennachfolger, als die Muslime mit den Völkern de eroberten Länder in Berührung kamen, entfalteten sich einerseits theologische Diskussionen zwischen den Muslimen und den Gelehrten anderer Religionen, und als die griechische Philosophie zur Zeit der Umayyaden gegen Ende des ersten Jahrhunderts nach der Hidschra und danach zur Zeit der Abbasiden ins Arabische übersetzt wurde, verbreiteten sich andererseits philosophisch-rationale Diskussionen auch unter den muslimischen Gelehrten selbst.
Zur gleichen Zeit, als die philosophischen Diskussionen im Gange waren, kam at-tasawwuf (Sufismus, Mystik) auf. Manche Menschen verspürten die Neigung, die religiösen Erkenntnisse durch Askese und geistige Übungen, ohne Polemik und rationale Diskussionen, zu erreichen.
Darüber hinaus gab es eine Anzahl von Menschen, die sich ahl al-hadith, die Leute der Tradition, nannten, die absolut an die Äußerlichkeiten der Religion glaubten und nur eine formale Untersuchung der literarischen Aspekte der Schrift zuließen. Die Exegeten unterschieden sich voneinander in ihren Methoden, je nachdem, welcher Gruppe sie angehörten. Es gab nichts, worin sie übereinstimmten, außer in dem Wort:" Es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammad ist Gesandter Gottes." Sie stritten über die Bedeutungen der Namen, Attribute und Handlungen Gottes, über Himmel und Erde und was sich in ihnen befindet, über Ratschluss und Vorherbestimmung Gottes, über Zwang (fatalistische Prädestination) und Anheimgebung (dem eigenen Willen), über Lohn und Strafe, über Tod, barzah (Zwischenstadium zwischen dem Tod und dem Tage der Auferstehung) und Auferstehung, über Himmel und Hölle, kurzum über alles, was in irgendeiner Weise mit der Religion zu tun hatte. Diese Unterschiede machten sich auch bei den Methoden bemerkbar, die sie bei der Sinndeutung der koranischen Verse anwandten. Und jeder hielt an dem Text fest, der seine Richtung bestätigte.
Die Leute der Tradition (die Traditionalisten) beschränkten sich bei der Interpretation des Koran auf die Traditionen, die von den Prophetengefährten und ihren Schülern überliefert worden waren. In ihren Interpretationen wagten sie sich nur so weit vor, wie ihnen dies die entsprechenden Überlieferungen erlaubten. Sie hielten dort an, wo die entsprechenden Überlieferungen fehlten und die Bedeutung der Verse nicht offenkundig war. Sie begründeten dies mit den Worten Gottes:
"Und diejenigen, die ein gründliches Wissen haben, sagen: Wir glauben daran. Alles stammt von unserem Herrn."(3,7) Doch sie irrten sich! Gott hat in seiner Schrift die Gültigkeit des rationalen Beweises nicht in Frage gestellt. Das wäre auch kaum zu verstehen, denn die Glaubwürdigkeit der Schrift selbst beruht auf dem rationalen Beweis. Den Aussagen der Gefährten und ihrer Schüler hat Gott keine Beweiskraft verliehen. Dies wäre auch angesichts der bestehenden deutlichen Meinungsverschiedenheiten kaum möglich. Er hat uns nicht aufgefordert, Sophisterei zu betreiben, indem wir uns widersprüchlichen Meinungen unterwerfen. Er hat uns lediglich beauftragt, über die koranischen Verse nachzudenken, um die äußeren Widersprüche aufzuheben. Er machte die Schrift zur Rechtleitung, zum Lichte und zur Erklärung für alles. Ein Licht bedarf keines anderen Lichtes, um erleuchtet zu werden. Der Rechtleitende bedarf keines anderen, um geleitet zu werden. Und wie kann etwas durch andere Dinge erklärt werden, wenn es selber Erklärung für alles ist?
Was die Theologen betrifft, verfuhren sie mit ihren Interpretationen so, dass sie das, was mit ihren Ansichten übereinstimmte, aufnahmen und alles andere, was ihren Ansichten widersprach, auf ihre Weise auslegten. Ob die Bevorzugung besonderer Denkschulen und die Anwendung spezieller Methoden und Verfahren die Folge wissenschaftlicher Meinungsverschiedenheit oder bloßer Nachahmung oder völkischen Parteigängertums waren, kann hier nicht erörtert werden. Soviel nur sei gesagt, dass diese Untersuchungen eher den Namen Adaption verdienen als die Bezeichnung Exegese.
Es macht wohl einen Unterschied, ob man bei der Suche nach der Bedeutung eines koranischen Verses fragt: Was sagt der Koran? Oder ob man fragt: Was müssen wir in ihn hineindeuten? Bei der ersten Fragestellung entscheidet man sich dafür, die vorgefassten Meinungen zu ignorieren und sich nicht darauf zu stützen. Die zweite Fragestellung enthält jedoch die vorgefasste Meinung und baut die Untersuchung darauf auf. Es ist offenkundig, dass es sich bei dieser Art von Worterklärung nicht darum handelt, die eigentliche Bedeutung herauszufinden. Was die Philosophen betrifft, erging es ihnen ebenso wie den theologischen Exegeten: Sie verfielen ebenfalls in den Fehler, die koranischen Verse gegen ihre äußere Bedeutung so auszulegen, um sie den Grundsätzen der philosophischen Wissenschaften, das heißt der Mathematik, Naturwissenschaft, Theologie und der praktischen Philosophie im allgemeinen und den Grundsätzen der Peripatetiker im besonderen anzupassen. Sie legten die Verse über die metaphysischen Fragen, über die Erschaffung und Entstehung des Himmels und der Erde und über das Leben nach dem Tode und der Auferstehung aus, sie deuteten sogar die Verse um, die mit den naturwissenschaftlichen Hypothesen und Postulaten über die Zahl der Himmelskörper und der Elemente nicht übereinstimmten, obwohl sie zugeben mussten, dass ihre Theorien auf unbewiesenen Hypothesen und Postulaten beruhten.
Da sich die Mystiker mit den esoterischen Aspekten der Schöpfung befassten und sich mehr mit der inneren als mit der äußeren Welt beschäftigen, beschränkten sie sich bei ihren Untersuchungen auf die Auslegung und ignorierten das offenbarte Wort. Das ermutigte die anderen zu Auslegungen dieser Art, zum Ersinnen von Gedichten und zu dem Versuch, alles mit allem erklären zu wollen. Sie interpretierten sogar die koranischen Verse nach dem Zahlenwert der gebrauchten Buchstaben und danach, ob sie hell oder dunkel sind.
Es ist offenkundig, dass der Koran nicht offenbart worden ist, um nur die Mystiker rechtzuleiten. Er richtet sich auch nicht nur an diejenigen, die sich mit der Zahlen- und Buchstabenlehre oder dem Zahlenwert der Buchstaben befassten. Das sind Dinge, welche die Astrologen nach dem Übertragen der griechischen Astrologie ins Arabische erfunden haben.
Nun gibt es eine Tradition folgenden Inhalts, wie vom Propheten und den Imamen seiner Familie überliefert worden ist: "Der Koran hat ein Äußeres und ein Inneres. Auch im Inneren gibt es ein Inneres bis zu siebenmal (oder nach einer anderen Überlieferung: bis zu siebzigmal." Doch sie berücksichtigen das Äußere ebenso wie das Innere. Sie widmeten sich dem Wortlaut der Offenbarung ebenso wie ihrer Auslegung. Wir werden zu Beginn der Auslegung der Sure "die Sippe 'Imrans" erklären, dass die Exegese gegen den äußeren Sinn der Worte erst nach der Offenbarung des Koran und der Verbreitung des Islam unter den Muslimen üblich geworden ist. Mit dem Wort ta'wil (Auslegung), das in einigen koranischen Versen vorkommt, ist etwas anderes geeint als die Bedeutung und der Sinn der Worte.
In letzter Zeit ist eine neue Methode der Exegese aufgekommen, die von den vermeintlichen Muslimen entwickelt worden ist, welche wegen ihrer Beschäftigung mit den Naturwissenschaften und ähnlichen auf der Beobachtung und Erfahrung beruhenden Wissenschaften wie der Soziologie, die sich auf statistische Erfahrungen stützt, den europäischen Empiristen und Pragmatisten folgen. Sie erklärten, dass religöse Erkenntnisse den von der Wissenschaft verifizierten Erkenntnissen nicht widersprechen dürfen - wissenschaftlichen Erkenntnissen, die besagen, dass nichts existiere außer der Materie und ihren feststellbaren Eigenschaften. Und alles, worüber die Religion berichte und was die Wissenschaft ihrerseits für unwahr halte, wie den Thron, den Stuhl, die Tafel und das Schreibrohr, müsse entsprechend interpretiert werden. Und alles, worüber die Religion berichte und die Wissenschaft schweige, wie die Auferstehung, müsse auf der Grundlage der materialistischen Gesetze erklärt werden. Alles, worauf die Verkündung einer Religion beruhe, wie die Offenbarung, die Herrschaft Gottes, der Satan, das Prophetentum, Gottes Gesandtschaft, Imamat und dergleichen, seien geistige Angelegenheiten. Der Geist sei auch seinerseits Materie, d.h. eine Art Eigenschaft der Materie, die Verkündung einer Religion sei das Werk eines gesellschaftlich engagierten Genies, das seine Gesetze auf reformerische Ideen stütze, um eine tugendhafte und fortschrittliche Gesellschaft aufzubauen.
Auf die Überlieferung außer den Teilen, die mit der Schrift übereinstimmen, sei wegen ihrer Vermengung kein Verlass. Was die Schrift selbst beträfe, so dürfe sie nicht interpretiert werden aufgrund der früheren Ansichten und Lehrmeinungen, die sich auf rationale Argumentationen stützen, die durch Sinnes- und Erfahrungserkenntnisse widerlegt worden seien, vielmehr sei es notwendig, sich bei der Interpretation des Koran nur mit dem zu befassen, was uns der Koran selbst zur Verfügung stellt, es sei denn, die Wissenschaft erkläre es anders.
Das ist eine Zusammenfassung dessen, was sie geschrieben haben oder was notwendigerweise aus der Anwendung einer erkenntnistheoretischen Methode folgt, die auf Sinneserfahrung aufbaut und zu dieser Art von Exegese hinführt.
Hier möchten wir uns nicht mit den wissenschaftlichen und philosophischen Prinzipien befassen, die sie bei ihren Untersuchungen zugrunde gelegt haben. So viel sei jedoch gesagt, dass ihre Einwände gegen die Methoden ihrer Vorgänger, sie seien Adaptationen, aber keine Exegesen, ebenfalls auf ihre eigene Methode zutreffen. Auch wenn sie ausdrücklich betonen, dass man der Aufgabe der Exegese nur gerecht werden könne, wenn der Koran durch den Koran interpretiert werde und ihm bei der Suche nach der Bedeutung der Verse nichts hinzugefügt werde, ist zu fragen, warum sie dann so vorbehaltlos an den wissenschaftlichen Theorien festhalten, von denen sie nicht abweichen dürfen? Sie haben also die Fehler ihrer Vorgänger nicht verbessert.
Betrachtet man die genannten Methoden der Exegese alle zusammen, so findet man, dass sie alle an einem gemeinsamen Mangel leiden: Sie oktroyieren dem Koran die Ergebnisse wissenschaftlich-philosophischer Untersuchungen von außen auf und deuten sie in den Sinn der Verse hinein. So werden die Exegesen zu Adaptationen, die koranischen Wahrheiten zu Allegorien, und die göttliche Offenbarung wird zur bloßen Auslegungssache einiger Verse.
Und das erfordert, dass der Koran, der sich - wie bereits erwähnt- als Rechtleitung für die Menschen in aller Welt, offenkundiges Licht und Erklärung für alle Dinge darstellt, durch andere dinge rechtgeleitet, beleuchtet und erklärt wird. Und was sind diese Dinge? Welchen Wert haben sie? Und an welche Instanz sollte man sich wenden, wenn Meinungsverschiedenheiten auftreten? Und an ernsthaften Meinungsverschiedenheiten hat es nie gemangelt.
Wie dem auch sei, die Meinungsverschiedenheiten rühren nicht von den unterschiedlichen Auffassungen über den Sinn der Wörter und Verse her (über den sinn der einzelnen Ausdrücke und Sätze im arabischen Sprachgebrauch), denn der Koran ist in klarem Arabisch offenbart worden, und einer (Araber oder Nichtaraber), der der arabischen Sprache und Stilistik mächtig ist, hat keine Schwierigkeit, ihn zu verstehen.
Unter den Tausenden von koranischen Versen gibt es keinen einzigen, der so kompliziert und schwer verständlich ist, dass man seinen Sinn nicht erfassen kann. Warum auch nicht? Die koranische Sprache ist von höchster Eloquenz. Dazu gehört, dass sie leicht verständlich und zugänglich ist. Auch diejenigen Verse, die zu den aufgehobenen und mehrdeutigen gezählt werden, sind dem Sinne nach ganz deutlich. Mehrdeutig sind sie nur wegen ihrer Bezüglichkeit, und das ist nur äußerlich.
Umstritten sind also die Antworten auf die Frage, auf welche Vorstellungen und dinge der Außenwelt sich die einzelnen und zusammengesetzten sprachlichen Begriffe beziehen. Dies bedarf einer Erklärung: Es ist festgestellt worden, dass der Mensch aufgrund seiner Gewohnheiten jeden Ausdruck, den er vernimmt, mit einer materiellen Vorstellung oder mit dem, was mit der Materie zu tun hat, verknüpft. Denn in unserem irdischen Leben haben wir stets mit der Materie zu tun. Wenn wir zum Beispiel die Wörter Leben, Wissen, Macht, Hören, Sehen, Sprechen, Wille Zufriedenheit, Zorn, Schöpfung und Gebot hören, assoziieren wir diese Begriffe in unserer Vorstellung mit materiellen dingen. Auch wenn wir die Ausdrücke Himmel, Erde, Tafel, Schreibrohr, Thron, Stuhl, Engel mit den Flügeln, Satan mit seinem Stamm, seinen Reitern und seinem Fußvolk und dergleichen hören, verknüpfen wir sie in unserer Vorstellung mit ihren materiellen Erscheinungsformen. Wenn wir beispielsweise hören "Gott schuf die Erde, er machte dies, er wusste das, er wollte oder will dies oder jenes", beschränken wir diese Handlungen auf einen bestimmten Zeitraum, weil wir es so gewohnt sind.
Wenn wir die Verse "und bei uns gibt es noch mehr" (50,53), "...hätten wir das von uns aus gemacht" (21,17), "...was bei Gott bereitsteht, ist besser..." (62,11), "...zu ihm werdet ihr zurückgebracht..."(2,28) hören, verbinden wir ebenfalls den Begriff göttlicher Allgegenwart mit der Ortsvorstellung.
Oder wenn wir die koranischen Verse "Und wenn wir eine Stadt zugrunde gehen lassen wollen, befehlen wir denen aus ihr, die ein Wohlleben führen, in ihr zu freveln"(17,16), "Wir wollten denen, die im Lande unterdrückt waren, Gnade erweisen..." (28,5), "Gott will es euch leicht machen" (2,185) hören, glauben wir, dass es sich hierbei um ein und denselben Willen handelt, den wir aus eigenen Handlungen kennen. So verhält es sich mit allen Ausdrücken, die wir verwenden. Das ist nur natürlich, denn die Wörter sind aus der sozialen Notwendigkeit der gegenseitigen Verständigung entstanden. Und die Gesellschaft ist entstanden, damit sich der Mensch durch seine materiellen Handlungen in ihr fortentwickelt. So wurden die Wörter zum Symbol für Bezeichnete, die einen bestimmten Zweck erfüllen sollten. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass die bezeichneten Dinge dem Wandel unterworfen sind. Sie wandeln sich entsprechend den veränderten Bedürfnissen des Menschen auf dem Wege der Entwicklung. Beispielsweise bestand die erste Lampe, die der Mensch herstellte, aus einem Behälter, einem Docht und etwas Fett. Sie spendete Licht in der Dunkelheit, sie entwickelte sich und wurde zum modernen elektrischen Licht. Von den Komponenten der ersten Lampe, die das Objekt dieser Bezeichnung war, blieb keine einzige. Ebenso verhält es sich mit den einstigen Waagen, den Waffentypen älterer Zeiten und den heutigen Messgeräten für Gewicht und Temperatur sowie den modernen Waffen.
Die Bezeichneten wandeln sich dermaßen, dass keine einzige ursprüngliche Komponente übrigbleibt. Doch der Name bleibt trotzdem bestehen. Und dies geschieht nur deshalb, weil mit der Bezeichnung nicht die Form, sondern der Zweck des Objekts gemeint ist. Solange der Zweck des Wiegens, des Beleuchtens und des Verteidigens erfüllt wird, bleiben die Bezeichnungen Waage, Lampe, Waffe und dergleichen weiterhin bestehen.
Daher müssen wir darauf achten, dass maßgebend für die Richtigkeit einer Bezeichnung ihre Relevanz in bezug auf die Erfüllung des Zwecks ist, und nicht die erstarrte sprachliche Form. Doch unsere Gewohnheiten halten uns davon ab, diese Tatsache zu erkennen. So ging es den al-Hašwîya und den al-Mugassama, die sich bei der Interpretation stur an das anthropomorphistische Äußere der Verse hielten. Tatsächlich aber hielten sie sich bei der Suche nach dem Bezugsobjekt nicht an die erstarrte sprachliche Form, sondern an die erstarrten Sitten und Bräuche. Doch es geht auch aus dem äußeren Sinn der koranischen Verse hervor, dass man bei der Erfassung ihrer Bedeutung ihren Sinn und Zweck verfehlt, wenn man sich dabei auf Sitten und Bräuche verläßt. Es heißt zum Beispiel: "Es gibt nichts, was ihm gleichkommen würde" (42,11(, "Nicht erreichen ihn die Blicke, er aber erreicht die blicke, und er ist der Scharfsinnige, der Kundige" (6,103), "Gott sei gepriesen! (Er ist erhaben) über das, was sie aussagen" (23,91)
Und dies führt dazu, dass sich die Menschen mit der bloßen Erfassung des gewöhnlichen Sinnes der Verse nicht mehr begnügten. Und weil sie fehlerhafte Ergebnisse vermeiden wollten, wandten sie sich den wissenschaftlichen Forschungen zu. Diese sollten ihnen ermöglichen, die koranische Wahrheit und ihren tieferen Sinn zu verstehen. Da gibt es zwei Möglichkeiten: Die erste Möglichkeit ist, dass wir eine wissenschaftliche oder philosophische Forschung über eines der Probleme, die im Koran behandelt werden, anstellen, bis wir zu einem Ergebnis kommen, und dann versuchen, dieses Ergebnis dem Koran aufzuoktroyieren. Diese Methode wird von der theoretischen Forschung gutgeheißen, findet jedoch, wie wir wissen, nicht die Billigung des Koran. Die zweite Möglichkeit ist, dass wir den Koran durch den Koran interpretieren, den einen Vers auf dem Wege des vom Koran selbst auferlegten Nachdenkens durch den anderen ähnlichen erklären und auf diese Weise erkennen, worauf sich die Verse beziehen. Dazu heißt es im Koran: "Und wir haben die Schrift auf dich herabgesandt, um alles klarzulegen" (16,89). Und es kann nicht sein, dass der Koran alles erklärt, aber nicht sich selbst. Gott der Erhabene beschreibt ihn als "Rechtleitung für die Menschen und klare Beweise der Rechtleitung und der Unterscheidung" (2,185) und er sagt weiterhin: "Und wir haben ein offenkundiges Licht zu euch herabgesandt" (4,174) Wie kann der Koran Rechtleitung, klarer Beweis, Mittel der Unterscheidung und offenkundiges Licht für Menschen bei allen ihren Bedürfnissen sein und in eigener Sache, worin der größte Bedarf besteht, den Erfordernissen nicht genügen? Sagt er doch: "Diejenigen aber, die sich um unseret willen abmühen, werden wir unsere Wege führen" (26,69). Und welche Mühe ist größer als die Mühe um das Verstehen seiner Schrift? Und welcher Weg zu ihm ist der bessere als der Weg des Koran?
Es gibt sehr viele Verse in diesem Sinne. Wir werden sie bei der Erörterung der eindeutigen und mehrdeutigen Verse zu Beginn der Sure "Die Sippe `Imrans" ausführlich behandeln. Gott lehrte den Propheten den Koran und machte ihn zum Lehrer seiner Schrift: "Der zuverlässige Geist hat ihn herabgesandt, dir ins Herz, damit du ein Warner seiest" (26, 193-194). An einer anderen Stelle heißt es:" Und wir haben vor dir n ur Männer gesandt, denen wir Offenbarungen eingaben" (16,43), sowie: "Ein Gesandter, der ihnen seine Verse verliest, sie läutert und sie die Schrift und die Weisheit lehrt" (62,2). Und der Prophet setzte seine Familie und die Angehörigen seines Hauses nach einer allgemein anerkannten Überlieferung zu dieser Aufgabe ein: "Ich hinterlasse euch zwei wichtige Dinge. Ihr werdet nicht irregehen, wenn ihr euch an sie haltet: die Schrift Gottes und meine Familie. Sie beide werden sich nicht voneinander trennen, bis sie sich mir am Teich anschließen." Und Gott der Erhabene hat dieses ihr Wissen über den Koran in folgenden Versen bestätigt: "Gott will die Unreinheit von euch entfernen, ihr Angehörigen des Hauses, und euch wirklich rein machen" (33,33), und "Es ist ein vortrefflicher Koran, in einer wohlverwahrten Schrift, die nur von Reinen berührt wird" (56,77-79). Genau nach dieser Methode lehrten und erklärten sie den Koran, wie es uns in den Traditionen über die Koranexegese überliefert worden ist. In diesem buch werden wir die entsprechenden Überlieferungen, die auf den Propheten und die Imame seiner Familie zurückgehen, bei der Erörterung dieser Traditionen zitieren. Bei unseren Nachforschungen werden wir auf keinen einzigen Fall stoßen, bei dem sie eine philosophische Argumentation und wissenschaftliche Hypothese zu Hilfe genommen hätten.
Der Prophet sagt: " Wenn das Unheil der Versuchung wie die finstere Nacht über euch hereinbricht, dann greifet nach dem Koran; denn er ist ein Fürsprecher, der erhört wird, und ein glaubwürdiger Anwalt. Wer ihn vor sich trägt, wird zum Garten (Paradies) geführt, und wer ihn hinter sich lässt, fährt in die Hölle. Er ist ein Wegweiser, der auf den besten Weg führt, er ist eine Schrift, die ins einzelne geht, erklärt und rekapituliert. Er ist das entscheidende Wort und kein Wirtz. Er hat ein Äußeres und ein Inneres. Sein Äußeres zeugt von Weisheit und sein Inneres von Wissen. Er ist äußerlich schön und innerlich tief. Sein Himmel ist voller Sterne, ein Stern über dem anderen. Seine Wunder sind unzählbar und seine Merkwürdigkeiten unvergänglich. Darin sind Lichter der Rechtleitung und Leuchttürme der Weisheit. Er ist ein Wegweiser zum Guten für einen, der die Gerechtigkeit erkennt. Daher soll der Mensch seine Sicht erweitern, so dass sein Blick die Gerechtigkeit erreicht, um ihn vor dem Verderben zu retten und von der Verwicklung zu befreien. Denn das Denken ist das Leben für das Herz des Sehenden Ebenso wie man in der Finsternis des Lichtes bedarf, um sich herauszufinden mit geringem Zeitaufwand."
In einer Predigt über den Koran sagt `Ali: " Ein Teil von ihm spricht von dem anderen und einer zeugt für den anderen."
Das ist der gerade Weg, den die Lehrer des Koran beschritten haben. Auch wir werden diese Methode mit Gottes Hilfe so weit wie möglich bei der Erklärung der koranischen Verse anwenden. Wir haben es dabei vermieden, uns auf eine theoretisch-philosophische Argumentation, wissenschaftliche Hypothese oder mystische Offenbarung zu stützen. Wir haben es also unterlassen, in den Koran hineinzuinterpretieren, es sei denn, es handelte sich um literarische Erklärungen, die zum Verstehen der Stilistik notwendig sind, oder um selbstverständliche und praktische Voraussetzungen, die unumstritten sind.
Aus diesen Erklärungen, die auf der genannten Untersuchungsmethode basieren, resultiert, dass es sich hierbei um folgende Themen handelt:
1. Erkenntnisse, welche die Namen und Attribute Gottes betreffen in bezug auf Leben, wissen, Macht, Hören, Sehen, Einheit und dergleichen. Was Gott selbst betrifft, so werden wir erfahren, dass er nach koranischer Auffassung keiner Erklärung bedarf.
2. Erkenntnisse, welche die Handlungen Gottes betreffen in bezug auf Schöpfung, Gebot, Wille, Wunsch, Rechtleitung, Irreführung, göttlichen Ratschluss, Vorherbestimmung, Zwang (fatalistische Prädestination), Anheimgebung (dem eigenen Willen), Zufriedenheit und Unzufriedenheit Gottes und dergleichen mehr von den Handlungen Gottes.
3. Erkenntnisse, welche die Mittel zwischen ihm und dem Menschen betreffen, wie Vorhang, Tafel, Schreibrohr, Thron, Stuhl, instandgehaltenes Haus, Himmel, Erde, Engel, Satan, Dschinn usw.
4. Erkenntnisse, die den Menschen vor seiner Ankunft in dieser Welt betreffen.
5. Erkenntnisse, die den Menschen in der Welt betreffen, wie die Erkenntnis der Geschichte der Menschheit, die Selbsterkenntis, die Erkenntnis der Grundlagen der Gesellschaft, des Prophetentums, der göttlichen Gesandtschaft, der Offenbarung, der Eingebung, der Schrift, der Religion und der Scharia. Dazu gehören die Stationen der Propheten auf dem Pfad, die aus den sie betreffenden Erzählungen zu erfahren sind.
6. Erkenntnisse, die den Menschen nach dieser Welt betreffen in bezug auf al-barzah und die Auferstehung.
7. Erkenntnisse, die den menschlichen Charakter betreffen. Und dazu gehören die Stationen der Freunde Gottes auf dem Pfade göttlicher Verehrung in bezug auf Hingebung, glaube, Wohltat, Demut, Aufrichtigkeit und dergleichen mehr.
Bei der Erörterung der koranischen Gesetzesbestimmungen haben wir jede ausführliche Erklärung unterlassen, weil dies in die Jurisprudenz (al-fiqh) gehört.
Der Vorteil dieser Untersuchungsmethode besteht darin, dass die Auslegung (ta'wil) im sinne des Hineininterpretierens gegen die äußere Bedeutung unterlassen wird. Was die Auslegung in dem Sinne, wie sie in einigen koranischen Versen erwähnt wird, betrifft, so ist damit nicht eine Art Bedeutung gemeint, wie wir noch sehen werden.
Nach den jeweiligen Erklärungen haben wir - soweit es uns möglich war - verschiedene Traditionen des Propheten und der Imame seiner Familie, die über sunnitische und schiitische Überlieferer tradiert worden sind, hinzugefügt. Was die Überlieferungen über die Exegeten unter den Prophetengefährten und ihren Schüler betrifft, so kommt ihren Meinungen keine Beweiskraft zu, weil sie durcheinander und widersprüchlich sind.
Bei näherer Betrachtung der Traditionen, die auf den Propheten und die Imame zurückgehen, wird man feststellen können, dass die erwähnte Methode, auf der die Erklärungen dieses Buches basieren, die älteste überlieferte Methode der Exegese ist, die die Lehrer des Koran angewandt haben.
Daran anschließend haben wir je nach Bedarf und Möglichkeit verschiedene philosophische, wissenschaftliche, historische gesellschaftliche und ethische Themen behandelt. Bei allen diesen Erörterungen beschränkten wir unsere Ausführungen auf entsprechende Voraussetzungen, ohne die Grenzen der Diskussion zu verlassen.
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